ZEIT(LOSE) ZEICHEN

Sieben Ideenräume bestimmen das Konzept:

Zeichen Bild / Sign Image

Zeichen Bild ist Platzhalter für die vielfältigen Zugänge zum Thema Piktogramm. Hier ist das einzige Exponat von Otto Neurath und Gerd Arntz als Bezugspunkt zu finden: eine repräsentative Auswahl von sieben Bildtafeln aus dem bild statistischen Elementarwerk Gesellschaft und Wirtschaft von 1930, welche wiederum mit den „Ideenräumen“ korrespondiert. Wilfried Gerstl und Niko Wahl erweisen Neurath/Arntz direkte Referenz, indem sie bei ihren Gestaltungen auf deren Bildzeichen zitathaft zurückgreifen, Nikolaus Gansterer würdigt in seiner komplexen Installation Neurath als Wissensmultiplikator. Richard Kriesche und Jun Yang verwenden heute gängige Piktogramme (wie die Fluchtfigur oder eine Anleitung zum Essen mit Stäbchen) in einem völlig neuen Kontext und skulpturalen Maßstab. Waltraud Palme und Richtex, sowie Stano Masár entwickeln ihre Piktogramm-Archive nach eigenen Gesetzmäßigkeiten, wobei die Zeichen ohne Wissen darum nicht entschlüsselbar sind (Palme/Richtex) oder die Kenntnis zeitgenössischer „Meisterwerke“ in weltberühmten Museen voraussetzen (Masár). Eine spielerische Annäherung an das Piktogramm teilt letzterer mit Rodolfo Peraza, der in hübsch anzusehenden Animationen durchaus ernste Inhalte transportiert. Olaf Osten hat den Ausstellungstitel wörtlich genommen und damit das Sujet für ZEIT(LOSE) ZEICHEN gefunden.

Sprach Rohr / Speak Out

Sprach Rohr: Die künstlerische Einbeziehung und Entwicklung von Piktogrammen ist vielen Kunstschaffenden nicht allein eine gestalterische Spielwiese, sondern folgt einem (sozial)politischen Anliegen, dem persönlichen Handlungsbedarf. Ilse Chlan thematisiert in ihrem Beitrag die Wurzeln des Piktogramms in historischen Diagrammen, sowie den Zusammenhang zwischen „Menschenmaterial“ und Kapital. Sowohl das Künstlerinnenkollektiv migrantas als auch der Filmkünstler Harun Farocki legen den Fokus auf das brisante Thema Migration in Gesellschaft und Medien. Alexander Lehmann verbreitet seine bösen, realsatirischen Animationsfilme breitenwirksam im Netz: der Überwachungsstaat, Xenophobie und die heute vielfach in Frage gestellte Freiheit im Internet werden von ihm filmisch aufgegriffen. Hazem El Mestikawy erträumt sich unter Weiterentwicklung der Arntz’schen Symbole (Ethnien bzw. Weltreligionen) seine persönliche Utopie von der Gleichheit aller Menschen, wohingegen Jun Yang einen ernüchterten Blick auf die Ergebnisse der jüngsten poltischen Revolutionen wirft.

Zahlen Feld / Number Field

Zahlen Feld steht für die aktuelle Verbildlichungen diverser statistischer Sachverhalte. Sie reichen von bildhaften Aufarbeitungen der Nationalratswahl im Oktober 1971 bei Hermann J. Painitz, bis hin zur virtuellen Rollercoasterfahrt, die uns körperlich spürbar die Höhenflüge und Abstürze des Dow Jones Index während der letzten Jahre nachvollziehen lässt (Christian Rupp). Bernd Cella erfasst in seinen Siebdrucken akribisch das gesamte österreichische Kunstgeschehen von 1993/94. Karl-Heinz Klopf setzt im Persönlichen an und liefert (von den farbigen Vertikalstreifen seines Hemdes inspiriert) mit einer animierten Diagrammkurve den ironischen Kommentar zu gängigen Übersteigerungen in der Vermittlung von Wirtschaftsdaten. Michael Wegerer untersucht in seiner Uhren-Installation das Verhältnis zwischen Kreativität, Bildungsstand und subjektiv empfundener „Happiness“. Seine Auffassung von Hard Edge-Malerei, die (vielleicht unbeabsichtigt) Assoziationen über Mengenverhältnisse und Ordnungsprinzipien zulässt, zeigt Christian Hutzinger.

Stadt Gebiet / Urban Area

Stadt Gebiet fasst unterschiedliche künstlerische Zugänge zur City als einem hochkomplexen, durchorganisierten, sich jedoch ständig wandelnden Lebensraum zusammen. Andrea Ressi beschäftigt sich in Grafi ken und Installationen mit den Codierungen, die mit der oft zitierten „global polis“ einhergehen – mit Bildzeichen, Logos, Leitsystemen und kartografi schen Elementen. Anthony Burrill inszeniert in seinen slicken Drucken urbane Fragmente und technische Symbole, die einem Lehrbuch für Darstellende Geometrie entlehnt scheinen. Karl-Heinz Klopf wirft einen Blick aus internationalen Hotelfenstern und schafft mit zeichenhaft abstrahierten Umgebungsplänen ein poetisch aufgeladenes Piktogramm-Archiv seiner Reisetätigkeit. Roman Týcs Ampel-Aktion in Prag – er überklebte im gesamten Stadtgebiet Fußgängerampeln mit seinen eigenen, provokant veränderten Figürchen – brachte ihn sogar für einen Monat hinter Gitter.

Welt Macht / World Power

Welt Macht führt den Zusammenhang zwischen Konsum, Kapital, Expansion und Gewalt vor Augen. Nikolaus Gansterer überzeichnet in Werbeprospekt en eines bekannten Diskonters das gesamte Warensortiment samt Textpassagen, sodass durch die völlig verfremdeten, geschwärzten Felder Bedrohliches evoziert wird. Das Künstlerduo Sociéte Réaliste untersucht die Beziehung zwischen der Dinglichkeit bzw. Symbolhaftigkeit des Geldes (1 Euro-Münze) und den geopolitischen Strategien Europas. Michael Bielicky und Kamilla B. Richter, Erdal Duman und Philippe Rekacewizc widmen sich in ihren eindringlichen künstlerischen Statements dem Gefl echt von wirtschaftlicher Expansion und kriegerischen Auseinandersetzungen. Als Gegenpol dazu werden bei Bernd Oppl und Christoph Hinterhuber die Ängste des Individuums und das daraus resultierende übersteigerte Sicherheitsbedürfnis umkreist – Ängste rationaler und irrationaler Art, welche zu virtuellen Fluchten in ein idealisiertes „Wonderland“ verleiten.

Körper Nähe / Body Matters

Körper Nähe führt von globalen Phänomenen wieder zurück zum eigenen Körper, zur eigenen Befi ndlichkeit und ironischen Überhöhung des alltäglichen Lebens. Lena Knilli befasst sich in Malerei und Grafi k mit der genetisch- und sozialbedingten Identität, mit Erbanlagen als Informationsträger. Matthias Klos‘ Arbeiten wirken auf den ersten Blick wie Rorschachtests, entpuppen sich jedoch als Zeichnungen mit dem Grafi kskalpell, bei denen das Prozessuale sowie die Vielfalt der entstehenden Formen im Vordergrund steht. Gert Linke verwandelt in seinen Schellak-Zeichnungen und Plastiken einfache Dinge zu ironischen Kommentaren des Alltags. Peter Weibel führt dem Publikum die Sinnhaftigkeit von Zeichen und Symbolen wirksam vor Augen, indem er bei einer Aktion im Museum für angewandte Kunst 1988 die Symbole von Damen- wie Herrentoilette entfernte und in seine Installation integrierte.

Markt Platz / Market Place

Markt Platz lenkt den Blick erneut auf Weltumfassendes – die sogenannten neuen und sozialen Medien stehen hier im Fokus: Apps, YouTube, Open Data und Open Source dienen als Grundlage für die hier versammelten künstlerischen Positionen. Die pseudowissenschaftlichen, ironischen Animationen von Clemens Kogler und Karo Szmit speisen sich aus der Ästhetik von Werbeclips, Computerbenützeroberflächen und der allgegenwärtige Powerpointkultur. Sito Schwarzenberger, Künstler und bekannter VJ, übersetzt in seinen frei schwebenden, computergenerierten Bild- und Soundinstallationen gebündelte Information in Piktogramme, welche sich zu bewegten abstrakten Kompositionen formieren. Das Team um Martin Kaltenbrunner entwickelte ein interaktives Musikinstrument, welches Klang, Rhythmus und Musik in eine greifbare und sichtbare Erfahrung verwandelt. Ausschließlich virtuell existieren das Netzwerk open3.at (um Carl-Markus Piswanger und Robert Harm) und YouTube. open3.at hat es sich zur Aufgabe gemacht, offen verfügbare Daten (insbesonders Open Government Data) in ansprechenden Visualisierungen einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, ein Anspruch der dem Otto Neuraths direkt folgt. YouTube wiederum ist eine Fundgrube für den lockeren, spielerischen Umgang mit den bildpädagogischen Errungenschaften von Neurath und Arntz.

 

Textauszug aus dem Katalog zur Ausstellung
von Maria Christine Holter